Das Mainviertel die kleine Welt des großen Dichters Leonhard Frank
Von Hans Steidle
„Über der Stadt lag Abendsonnenschein. Ein roter Wolkenballen hing über der grauen Festung auf dem Gipfel, und im steil abfallenden königlichen Weinberg blitzten die weiße Kopftücher der Winzerinnen - die Weinernte hatte begonnen. Es roch nach Wasser, Teer und Weihrauch.“ Mit diesem stillen Idyll, in das sich das Dröhnen der Domglocke und der dreißig anderen Kirchturmglocken Würzburgs mischt, stimmt Leonhard Frank seinen ersten, 1914 erschienenen Würzburgroman „Die Räuberbande“ ein.
Wir sind auf der Alten Mainbrücke. Die romanische, altersgraue, immer wieder aufgebaute Brücke mit den barocken Heiligen bildet den Treffpunkt einer Jugendbande im Jahre 1900. Heute trifft sich hier Würzburg und die Welt. Man spürt noch die Faszination, die diese Brücke für Leonhard Frank zum magischen, poetischen Mittelpunkt seiner Dichtung gemacht hat: Die Brücke spielt in allen vier Würzburg-Romanen Franks mit.
Das verwundert nicht, denn die Welt des einst weltweit geschätzten Dichters ist das Alte Mainviertel. Leonhard Frank wird in der Zellerstraße als viertes Kind eines armen Schreinergehilfen am 4. September 1882 geboren. Proletarier und Protestant, das bestimmt das jüngste „unerwünschte“ Kind der Familie Frank in Würzburg zum Außenseiter. Über die Mainbrücke geht er täglich zur evangelischen Volksschule, sieht die 30 Kirchturmspitzen als Siegeszeichen eines unduldsamen Katholizismus über ein Kleinbürgertum am Rande der Verarmung, lebensschlau oder religiös wahnhaft. Er kennt es aus seiner kleinen Welt der Handwerker, Schiffer, Fischer, aber auch Geruch von Wasser, Teer, Weihrauch und Wein, Schweiß und Arbeit, drückende Armut, echte Liebe, Hoffnung auf bessere Welt und Verzweiflung bis in den Selbstmord. Liest man bei Frank nach, begegnet man ihnen wieder, den Menschen des Meeviertels, die es noch gibt, doch eher als eine aussterbende Gruppe in Würzburg
Viel hat der Krieg auch im Mainviertel nicht übrig gelassen: einige von Franks „altschiefen Häuschen“, gerettet vor der Totalsanierung. Und dunkle Abendwinkel erinnern daran, wie es aussah in den „feuchtkühlen Gassen, die uralte Bäume verdunkelten“. Die Allee unterhalb der Bastionen den Main entlang, wo kein bewohntes Haus steht, trägt den Namen des großen Meeviertler Dichters. Ist das noch das Viertel von Leonhard Frank? Mit etwas Phantasie, vor allem in der Abenddämmerung und bei Nacht. Das Spitäle ist da, jetzt eine schöne Ausstellungs- und Veranstaltungshalle des VKU, mit viel Geschmack das Moderne und Geschichtliche vereinend. Frank hätte hier gerne vorgelesen, schleppend, mit tiefer, angenehmer Stimme, die auch noch in den letzten Jahren den Meeviertler nicht ganz verleugnete. Auch über Bilder gestritten, er war akademisch ausgebildeter Kunstmaler, wenn auch seiner Meinung nach nicht mit überzeugendem Talent. Was würde ihn noch freuen: An der schönen Kirchenfassade leuchtet nachts wieder die Uhr, die als Erkennungszeichen um die ganze Welt ging. Für die Beleuchtung der Uhr am Türmchen hatten die Stadtväter - für Frank das Indiz von Kleinbürgerlichkeit, Schildbürgerstreichen - erst nach zweijährigem Streit die Jahreskosten von 20 Mark genehmigt;.
Von den fünfzehn Fischlokalen, die dem Viertel früher das Flair gaben, besteht nur noch die „Schiffbäuerin“ in der Katzengasse. Ihm wäre es leid um diesen Verlust. Die Stammkneipe der jugendlichen Räuberbande „Lochfischer“ in der Felsengasse findet man nur noch auf alten Photos und in Geschichtsbüchern. Will keine Kneipe im Meeviertel den Namen wieder aufnehmen? Dann würde Leonhard Frank, von seinen Freunden „Hardl“ genannt, unter dem alten Lessing-Trinkspruch sitzen. Im Saal der Fischerzunft wäre er sicher gerne, dort findet man das Archiv des Mainviertels, die kulturellen und geschichtlichen Schätze einer langen Tradition, sorgfältig behütet als ein Schatz auch für die nächsten Generationen, von der alten Fischerfamilie Goes. Ich denke an Franks poetische Beschwörung Würzburgs im Ochsenfurter Männerquartett: „In Würzburg, wo der Main die Stadt durchfließend, seinen schönsten Bogen zieht, wo die dreißig patinierten Kirchtürme stadtbeherrschend in den Himmel stoßen und generationenlang sich nichts geändert hat, wo von alters her der Sohn, wenn der Vater starb, die Metzgerei übernahm und führte, bis auch er starb, waren durch den Krieg und seine Folgen Bankguthaben und Sparkassenbücher zu Papier geworden.“
Alles untergegangen? Nein, des Dichters Wort bewahrt die Menschen und ihr Viertel vor dem Vergessen - so lange wir die Werke des Dichters lesen, nicht als Lob der guten alten Zeit, sondern als die poetische Verarbeitung eines kritischen, politisch wie moralisch überzeugten und standfesten Mannes. Eines Mannes, der so schrieb, wie die Handwerksmeister seit Jahrhunderten arbeiteten: er schaute genau hin, baute die Handlung auf, feilte und hobelte an den Worten und Sätzen, er war kein Holzarbeiter, sondern ein Wortarbeiter, ein Kunsthandwerker. Das Schreiben blieb ihm immer Leidenschaft, dementsprechend nicht nur Lust und Bedürfnis, sondern auch Frust und Mühe. Man liest die Kritik des Dichters: „Die ganze Stadt ist dumpf und eine Lügnerin“. Man müsste sie in Schutt und Asche legen, träumen die Jungen von der Räuberbande.
Im Roman „Die Jünger Jesu“, von 1947 ist der schreckliche Traum wirklich geworden: „Würzburg am Main, die Stadt des Weines und der Fische, der Kirchen, gotisch und barock, wo jedes zweite Haus ein unersetzliches Kunstwerk war, wurde nach dreizehnhundertjährigem Bestehen in fünfundzwanzig Minuten zerstört. Den folgenden Morgen floss der Main, in dem sich die schönste Stadt des Landes gespiegelt hatte, langsam und gelassen durch Schutt und Asche hinaus in die Zeit.“ Das Viertel seiner Kindheit war nicht mehr. Was würde Leonhard Frank heute über seine Stadt, sein Viertel schreiben? Die Saalgasse als Rennstrecke des Durchgangsverkehrs. Oder die stille alte Dreikronenstraße.
Als man 1950 an der neuen großen Schleuse baut, kommt Frank in die zerstörte Stadt, in sein altes Viertel zurück, fühlt sich nicht willkommen. Dazu merkt er in dem autobiographischen Roman „Links, wo das Herz ist“ an: „Eine Art Handlungsreisender, dessen Ware nichts taugt, war nach Würzburg gekommen. Man war entrüstet über ihn.“ Immerhin besucht ihn der Oberbürgermeister Franz Stadelmayer. Eine offizielle Feier zum 70. Geburtstag verwehrt die Stadt ihrem größten lebenden Dichter. Frank trifft seine Kindheitsfreunde, wird hier nicht heimisch, nicht in München, nicht in der DDR. Mit der Vertreibung aus Deutschland war er auch aus seinem Würzburg vertrieben worden.
Nach dem Tod Franks verwehrt ihm die Stadt eine richtige Straße aus weltanschaulichen Gründen. Inzwischen hat die Leonhard-Frank-Promenade an Charakter und als Treffpunkt jugendlicher Spontanparties an Beliebtheit gewonnen. Frank lächelt auf der Literatenwolke „Elfenbeinturm“, denkt an erotische Abenteuer in dem Etablissement „Zum Mainblick“ und dem Häuschen mit der roten Laterne.
Man sucht diese Orte früher männlicher, anscheinend vergeblicher Reifung vergebens, vergebens sucht man ein Denkmal für den im besten Sinne fränkischen Mann. Vor dem Spitäle steht ein Denkmal mit zwei Meeviertler Kinder, Fischerkinder, immerhin. An der Stätte Franks Geburt, das Haus unter der Deutschhauskirche ist schon 1894 niedergerissen worden, hat die Erinnerungstafel an den Zigarette rauchenden „Schriftsteller, Pazifisten und Emigranten“ 1992 nicht die Stadt, sondern der Verschönerungsverein angebracht - immerhin. Würzburger Bürger haben sich um ihn gekümmert. Auch in der Burkarderstraße 16 hat Leonhard Frank gewohnt, dort steht noch ein Haus; auch in der Frankfurter Straße, oberhalb der Gaststätte Vogelsburg; dort steht das Originalhaus. Um nicht zu viel vergebens zu suchen, kann man sich an die literarischen und biographischen Orte Franks führen lassen, mit Originalzitaten und bildern - über die Leonhard-Frank-Gesellschaft oder direkt beim Autor des Artikels.
Um angemessenes Fördern, Forschen und Gedenken des Dichters kümmert sich diese literarische Gesellschaft, eine Initiative von Bürgern, 1982 aus Anlass des 100. Geburtstags Franks gegründet. Dazu gehört für uns, sich zukünftig stärker im Mainviertel zu verankern als kulturelle und literarische Gesellschaft, mit dem VKU im Spitäle, dem Fischerzunft und ihrem historischen Saal, mit allen, denen das älteste Würzburger Viertel am Herzen liegt, zusammenarbeiten. So können wir den eigenartigen Zauber des ältesten Würzburger Viertels im Würzburger Gedächtnis verankern um es zu einem Moment unserer kommunalen Identität wachsen zu lassen.
Einen ersten Schritt sollte unser Meeviertelfest am 31. Juli 2005 darstellen.