Dr. Hans Steidle:
Der Dichter und seine Vaterstadt. Leonhard Frank und Würzburg 1882-1932.
Heft 16 der Reihe Hefte des Stadtarchivs Würzburg. Würzburg 2007.


Anlässlich der 125. Wiederkehr von Leonhard Franks Geburtstag führt die Stadt Würzburg 2007 ein Leonhard-Frank-Jahr durch. In diesem Rahmen veröffentlicht das Stadtarchiv Würzburg eine neue Untersuchung über die Beziehung des Dichters zu seiner Vaterstadt von 1882 bis 1932, die in wesentlichen Partien auf bisher nur fragmentarisch ausgewertetem Würzburger Quellenmaterial beruht. Autor ist der Würzburger Historiker und Frank-Forscher Dr. Hans Steidle, der mehrere Aufsätze und Bücher über den Würzburger Schriftsteller verfasst hat.


Die Intention des Buchs besteht darin, ein Bild vom Leben des Dichters und seiner Familie, aber auch der Beziehung zwischen Autor und Stadt, zu erstellen. Die Perspektive bleibt auf den Bezug zur Stadt der Kindheit und Jugend, die Freunde und Bekannten, aber auch auf die öffentliche Rezeption Würzburgs auf das Werk Franks konzentriert. Dieses Bild war bisher durch Franks metaphorisch verkürzte Darstellung in seinem Lebensroman "Links wo das Herz ist" bestimmt. In dieser Hinsicht ergeben die Recherchen ein differenziertes Bild, das erkennen lässt, in welchem Maße Frank nach 1950 seinen Zeitgenossen ein historisch typisierendes Bild vermittelte.


Leonhard Franks Großvater und seine beiden Brüder siedelten sich in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts als Holzarbeiter im Mainviertel an. Ein gewisser sozialer Aufstieg wird im Erwerb von Hausbesitz in diesem alten Würzburger Stadtteil erkennbar. Marie Frank, die Mutter des Dichters, übertrug ihren nicht realisierten Lebenswunsch nach Bildungserwerb und Selbstverwirklichung auf ihr jüngstes, sensibles Kind Leonhard. Der Vater Johann Frank, der sich zeit Lebens vergeblich um den Aufbau einer selbständigen Handwerkerexistenz bemühte, stand den künstlerischen Bestrebungen seines Sohns mit Unverständnis gegenüber. Dennoch waren die Lebensverhältnisse, folgt man den rekonstruierbaren Wohnverhältnissen aus den erhaltenen Bauakten, nicht durch jenes materielle Elend geprägt, das Frank in seinem Lebensroman andeutet. Biographische Hinweise zu Franks drei Geschwistern und der Großmutter väterlicherseits, die nach ihrer Rückkehr aus den USA bei Franks Eltern lebte, komplettieren die Informationen zu Franks Familie.

Zweifellos war die Lebenssituation in Würzburg für junge Lehrlinge durch autoritäre Religiosität und Unterordnung geprägt. Die Mitglieder der "Räuberbande" entstammten sowohl sehr armen Familien, aber auch aus wohlhabenden Familien mit einem Gasthof. Neu ist, dass Leonhard Frank vor seiner Lehre ein Jahr lang malerische und zeichnerische Grundbildung an der Fortgeschrittenen Mal- und Zeichenschule des Polytechnischen Zentralvereins für Würzburg und Unterfranken erhielt. Nach der Lehre als Schlosser bei Karl Tretter versuchte sich Frank in mehreren Jobs. Genauer kann seine Tätigkeit in dem Labor des Juliusspitals, die er seiner Freundin Magdalene Leisentritt verdankte, nachvollziehen.

Die Münchner Studienzeit wurde auch durch zwei Würzburger Stipendien, die drei Jahre lang gewährt wurden, finanziert und ermöglicht. In der Münchner Boheme schloss sich Frank dem anarchistischen Kreis um den Psychoanalytiker Dr. Gross an. Mit dessen Anhängern ist er auch auf dem Monte Veritá am Lago Maggiore nachweisbar. Tragisch verläuft seine Beziehung mit der Malerin Sophie Benz, die als Klientin und Geliebte von Dr. Gross 1911 in Locarno den Freitod suchte. Um diese Zeit siedelte Frank nach Berlin, begann mit seiner schriftstellerischen Aktivität, unterstützt von seiner neuen Lebensgefährtin und späteren Ehefrau Lisa Ertelyi. Frank hielt in dieser Zeit auf jeden Fall persönlichen und brieflichen Kontakt mit Würzburg, vor allem mit seiner Mutter. Sein Erstlingsroman "Die Räuberbande" zeigt auch die vielschichtige und differenzierte Beziehung des jungen Schriftstellers zu seiner Vaterstadt. Die Beziehungen zu Würzburg und besonders zur Mutter brachen auch nicht während des ersten Exils des Pazifisten in der Schweiz 1915-1918 ab. Die Mutter stellte notwendige Kontakte und Verbindungen her. Weihnachten 1918 feierten Leonhard und Lisa Frank in Würzburg. Nach seinem Engagement für die gescheiterte Rätebewegung in München lebte das Ehepaar Frank mehrere Monate des Jahre 1920 in Würzburg.

Die anfängliche Ablehnung des Gefühlssozialisten Frank in Würzburg änderte sich in der zweiten Hälfte der 20er Jahre in eine wachsende Popularität. Dazu trug sicherlich auch die unpolitische und lokalpatriotische Verfilmung der "Räuberbande" bei. Insgesamt positiv fiel die Berichterstattung zu Frank erfolgreichstem Theaterstück "Karl und Anna", dem pazifistischen Stummfilm "Niemandsland" und zum 50. Geburtstag 1932. Das Verhältnis zwischen Dichter und Vaterstadt scheint positiv vor der Errichtung der NS-Diktatur, die Frank zur 17 Jahre dauernden Emigration zwang. Dies bedeutete die tiefe Entfremdung von Dichter, Heimat und deutschem Kulturraum, die der zurückkehrende Autor nach 1950 als zunehmende schmerzhafte Isolation und Unverständnis erfuhr.